An die Ostsee fahren und dort schlemmen und shoppen - das ist ein Riesen-Sonntagsvergnügen für viele Städter. Damit könnte es nun einige Monate lang gänzlich vorbei sein. Durch eine Klage der Kirche gegen die jahrelang bewährte „Bäderregelung“, die es tourismusintensiven Orten an der Küste ermöglicht, auch an den Wochenenden alle Geschäfte offen zu halten, droht nach einem mühsam erarbeiteten Kompromiss zwischen Kirche und Landesregierung eine „tote Zeit“: demnach sollen künftig die Geschäfte nur noch vom 17. Dezember bis zum 8. Januar und vom 15. März bis zum 31. Oktober an Sonntagen öffnen dürfen.
Eine Horrorvorstellung für die Geschäftsleute an der Küste. Viele inhabergeführte Läden überleben hauptsächlich durch diesen besonderen Service, den ihre Kunden auch zu schätzen wissen. „Wir reden hier von 16 Sonntagen; das ist der Ursprung wie vor 10 Jahren“, erklärt Heinz Meyer, Vorsitzender der Timmendorfer Aktivgruppe für Handel und Gewerbe, bei einem Treffen betroffener Wirtschaftsvertreter und Vertreter des Tourismusverbandes am 8. Februar am „runden Tisch“ im Timmendorfer Alten Rathaus. „Die Tagesgäste kommen gerade am Wochenende, da müssen wir verstärkt für unsere Gäste und Kunden da sein. Der größe Umsatz in den Geschäften wird zudem am Wochenende gemacht. Jetzt haben wir viereinhalb Monate statt eineinhalb Monate geschlossen.“
Bevor es die Bäderregelung gab, die eine Ausnahmegenemigung zur Öffnung an Sonntagen beinhaltet, herrschte an Wochenenden im Winter gähnende Leere in Scharbeutz, Haffkrug, Timmendorfer Strand. Zahlreiche Geschäfte machten im November einfach bis Ostern zu. Das änderte sich schlagartig, als die Genehmigung zur Öffnung an Sonntagen vorlag. Quirliges Treiben mitten im Winter, Geschäfte geöffnet, Cafés gut besucht, viele Veranstaltungen mit zahlreichen Gästen… die Küste lebt, wenn sie nicht durch ein gäste- und wirtschaftsfeindliches Reglement vom Geschehen abgeschnitten wird. Wer überhaupt von einer Beschränkung profitiert, ist fraglich. In den Küstenorten gibt sich die Kirche weltoffen: „Wir haben nie Probleme mit der Bäderregelung im Ort gehabt, das kann mir auch Pastor Thomas Vogel bestätigen“, erklärt Timmendorfs Tourismusdirektor Joachim Nitz. Tatsächlich hat sich der Timmendorfer Pastor mit dem Satz „ist der Ort voll, ist auch die Kirche voll“ als Befürworter der Bäderregelung gezeigt. Aber er hat auch Bedenken bei der aktuellen Forderung der Ostseebäder: „Meine Sorge ist, dass ich im Moment keinen Spielraum sehe, sondern eher die Gefahr, dass der derzeitige Kompromiss nicht mehr zählt und dass wir die Bäderregelung von Mecklenburg-Vorpommern erhalten oder sogar ganz ohne Bäderregelung fahren müssen.“
Seine Sorge ist keinesfalls unberechtigt, ist doch die Regelung, Geschäfte am Sonntag zu schließen, im deutschen Grundgesetz verankert. Übernommen wurde dieses Gesetz aus Artikel 139 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919, der bestimmt, dass der Sonntag als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ gesetzlich geschützt bleibt. Eine „Abschaffung oder eine den Sonntag in dieser Funktion grundsätzlich in Frage stellende Regelung ist somit nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und entzieht sich daher einer grundsätzlichen Neuregelung durch die Landesparlamente“ (Wikipedia). In den Ostseebädern hat man die Hoffnung dennoch nicht verloren. Nach wie vor wartet man auf einen anderen Kompromiss, der den Geschäftsleuten mehr Spielraum lässt. „Es geht doch auch um unsere Arbeitnehmer, die eventuell für fünf Monate zum Arbeitsamt gehen müssen. Das darf es nicht sein, das ist unsozial.“ Die Kirchen sehen allerdings keinen Grund, nachzubessern. Hier wundert man sich „über die Form, in der die Bedenken vorgetragen werden“; man hält sie für nicht sachgemäß und im Ton nicht akzeptabel. Die Fronten sind verhärtet, die Läden sollen geschlossen bleiben. Es sei denn, der fast hundertjährige Paragraph im Grundgesetz würde endlich unserer Zeit und ihren Bedürfnissen angepasst.