Riesige Bullaugen blicken auf den kleinen Hafen, Menschen drängen sich vor dem Rohbau-Gebäude, warten auf Häppchen, auf Reden, auf Musik. Das neue Haus wird eingeweiht. Ein Hafeninformationszentrum soll es werden, mit Präsentationsraum, Tourist-Info und diesem besonderen Ausblick auf ein kleines bisschen Nostalgie: dümpelnde, bunte Fischkutter an der Kaimauer, hungrige Möwen rund um die Netze, frische Fische im Verkaufs-Container. Noch steht das Baugerüst, aber schon bald soll alles fertig sein.
Solide steht es dort, wo einst die kleinen Häuser mit Tourist-Info, Hafen-Töpferei und anderen Mini-Attraktionen standen. Jetzt soll alles noch größer, schöner werden. „Vollbracht und vollendet mit Meisterhand/ grüßet der Neubau weit ins Land“, reimte Zimmermann Wolfgang Hargus hoch oben neben dem Richtkranz auf dem neuen Hafen-informationszentrum. Begrüßt wurde auch die geballte Polit-Prominenz der Region: Bürgervorsteherin Anja Evers hieß den Bundestagsabgeordneten Ingo Gaedechens ebenso willkommen wie die Landtagsabgeordneten Maria-Elisabeth Fitzen, Lars Winter und Hartmut Hammerich. Auch die Regionalmanagerin der AktivRegion Innere Lübecker Bucht, Tanja Schridde, war gekommen, um den zukunftsweisenden Schritt im Niendorfer Hafen mit zu erleben.
Dabei war das gut besuchte Richtfest am neuen Hafeninformationszentrum nur der erste Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung des Konzepts „Erlebnispark Fischereihafen Niendorf/Ostsee“, das vom Arbeitskreis Fischerei der Aktiv Region und der Gemeinde gemeinsam erstellt wurde, wobei der Timmendorfer Chronist Heiner Herde zahlreiche Ideen eingebracht hat. Dass die progressive Planung, bei der man auf die Unterstützung durch Fördergelder aus dem Europäischen Fischereifonds setzt, den ursprünglichen Hafen weitgehend verändern wird, wurde dabei bewusst in Kauf genommen. „In 20 Jahren wirst Du mehr enttäuscht sein über die Dinge, die du nicht getan hast als über die Dinge, die du getan hast“, zitierte Anja Evers den Schriftsteller Mark Twain. „Also löse die Knoten, laufe aus dem sicheren Hafen. Erfasse die Passatwinde mit deinen Segeln. Erforsche, träume!“
Die Knoten sind schon längst gelöst im kleinen Niendorfer Hafen. Von der Idylle mit den dümpelnden bunten Kuttern und windschiefen Fischerbuden ist wenig geblieben, seit man im Jahre 2005 im Rahmen der Küstenschutz-Maßnahmen mit der ersten grundlegenden Veränderung begann. Über 100 Bäume mussten weichen. Dafür gab es Geld aus EU-Mitteln. Und eine Baustelle. Die kleinen, windschiefen Fischerhütten, in denen „Schorsch sind Dorsch“ verkauft hat, sind verschwunden. An ihre Stelle kamen großzügig bemessene Container in Rot und Blau, genormt, perfekt und ganz schön teuer: 20.000 Euro pro „Bude“, für einen Fischverkäufer eine stolze Summe. Dafür wurde die Promenade begradigt, gepflastert, tauglich gemacht für teure Schuhe. Eine Brücke am Hafeneingang wurde mit geschmiedetem Eisengeländer verziert; von außen schaut man durch eine Glasscheibe auf die bunte Szenerie, in der sich immer mehr stolze Segelyachten vor die kleinen Kutter drängen. Nostalgiker erinnern sich noch an früher, als überall ein paar Netze herumlagen, als Hobbyfotografen die „pittoresken“ Bilder einfingen, als hier die Butterfahrten starteten, raus aufs Meer. „Damals gab es noch große Makrelenschwärme“, erinnert sich Ingo Gaedechens. „Das ist vorbei. Wir wollen aber den Geist der Fischerei erhalten. Wenn es ein Prädikat gibt, dann verdient es der Niendorfer Hafen: Er ist der schönste an der Küste.“
Den Nostalgikern ist allerdings wenig geblieben in der schönen neuen Welt im Hafen. Wäre da nicht ein Fischer, der renitent seinen ollen Wohnwagen auf die Wiese stellt, genau neben die genormten Fischereihäuser für jedwedes Zubehör, der davor einfach ein Netz auslegt und damit das begehrteste Fotomotiv der „Neuzeit“ liefert. „An den Fischerhütten, die damals von Fotografen geradezu belagert wurden, gehen sie heute einfach vorbei“, sagt der Maler Reinhold Liebe, der hier im Hafen eine kleine Galerie betreibt. „Das ist schade. Früher blieben hier mehr Leute stehen, haben dann auch gern meine Hafenbilder bewundert. Heute geht die Passage durch den Fischereihafen viel zu schnell.“
Von seiner Galerie aus blickt man direkt in die Bullaugen des neuen Hafenzentrums. Rund 500.000 Euro soll das schiffsförmige Gebäude kosten; knapp die Hälfte der Summe soll aus Fördergeldern bezahlt werden. Hier können die Gäste erfahren, wo und wie Dorsch, Hering, Steinbutt, Scholle und Co. gefangen werden, bevor sie direkt im Hafen einen der fangfrischen Fische aus dem Container kaufen. Sie können sich über die Geschichte des Hafens, der Fischerei und der Ostsee informieren oder in einem multifunktionalen Raum an Präsentationen des Fischereiwesens teilnehmen. Und sie können „auf der neuen Dachterrasse träumen, wenn sie die ein- und auslaufenden Schiffe beobachten“ - wenn alles klappt schon Ende September, dann soll das neue Hafenzentrum vollendet sein.