Wussten Sie, dass die Hansestadt Lübeck im Mittelalter die wichtigste Kunstmetropole im Ostseeraum war? Eine Ausstellung in St. Annen demonstriert deutlich, wie man zu diesem Ansehen gekommen ist: in der Zeit zwischen 1460 und 1540 entstanden hier Kunstwerke mit Qualitätssiegel, eroberten die Welt, festigten den Ruf der Metropole für die Herstellung von Altaraufsätzen, Bilder mit biblischen Motiven und Goldschmiedearbeiten.
Fein geschnitzt und goldverziert präsentiert sich das Stück aus dem Hochaltar-Aufsatz der Marienkirche in Prenzlau, die im Zweiten Weltkrieg zum größten Teil verbrannte. Jetzt zeigt er als Leihgabe im St.Annen-Museum, wie hochwertig, wie schön, wie kostbar die Kunst des Mittelalters war. Lübeck bot als die wichtigste Kunstmetropole des Ostseeraums einer Vielzahl von Künstlern ideale Arbeitsbedingungen: von hier aus verbreiteten Bildschnitzer, Maler, Goldschmiede und Buchdrucke ihre Werke über ganz Nordeuropa. Im Jahr 2015 feiert Lübeck nun ein Doppeljubiläum: 100 Jahre St. Annen-Museum und 500 Jahre St. Annen-Kloster. Viele Kunstfreunde feiern mit und überzeugen sich dabei von der Pracht der Lübecker Altäre, die Teil der Ausstellung „Lübeck 1500“ sind. Das Vorhaben der „Jahrhundertausstellung“ ist einzigartig: nirgendwo anders wurde die Lübecker Kunst um 1500 bisher so umfassend präsentiert! Neben prächtigen Skulpturen und Gemälden, exklusiven Goldschmiedearbeiten oder aufwändig gestalteten Buchdrucken aus dem Ostseeraum sind Bildwerke aus den westlichen Handels- und Kunstzentren zu bewundern. Ob Lübecker Export- oder niederländische Importstücke: begehrt waren sie überall!
Trotz der erheblichen Verluste im Zweiten Weltkrieg sind die Kirchen der Lübecker Innenstadt noch immer Schatzhäuser besonderer Art. Ihr reicher Bestand an mittelalterlichen Kunstwerken kündet bis heute von Glauben und Frömmigkeit der Bürger um 1500 mit der Reformation vollzog sich 1531 der Epochenwechsel. Die Künstler verloren zumeist ihre Existenzgrundlage; die Kunstwerke aber blieben erhalten.
Es waren Bürger der Stadt, hauptsächlich Kaufleute, aber auch Handwerker und deren Gesellen, die diese Kunstwerke stifteten und für sie spendeten. Und es waren wiederum die Lübecker Bürger, die aller erste in Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts dafür Sorge trugen, dass das Kulturerbe ihrer Heimatstadt für die Zukunft erhalten blieb. So entstand bereits 1827 auf dem Oberchor der Katharinenkirche die Keimzelle der wunderbaren Sammlung, die seit dem 23. September 1915 im St Annen-Museum bewahrt wird.
Wer sich für Kunst und speziell die herausragenden Werke des Mittelalters interessiert, der wird sich diese besonderen Exponate nicht entgehen lassen. Zur Vorbereitung der Jubiläumsausstellung gehörte die wissenschaftliche Forschung: Anfang November 2014 kam ein Forschungsteam aus Tallinn nach Lübeck, um das Lukas-Retabel von Hermen Rode zu untersuchen. Rode war Lübecks führender Maler im ausgehenden 15. jahrhundert; seine Werkstatt belieferte Kirchen im ganzen Ostseeraum. Eines seiner Hauptwerke befindet sich heute noch in Tallin: das Hochaltar-Retabel in der als Museum genutzten Niguliste-Kirche. Seit 2013 untersucht ein Team aus Fachleuten diesen 1481 aufgestellten Altaraufsatz, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das wenige Jahre später in Lübeck fertiggestellte Lukas-Retabel ist Rodes zentrale Arbeit und die einzige, die von ihm namentlich signiert wurde. Weitere herausragende Werke sind u.a. der berühmte Memlingaltar, benannt nach seinem Schöpfer Hans Memling aus Brügge. Er wird einem nur virtuell anwesenden Altar aus Tallinn gegenübergestellt; beide können mittels digitaler Projektion betrachtet werden. Real sind hingegen die Figuren von Veit Stoß aus Nürnberg und Tilman Riemenschneider aus Würzburg. Ende des 15. jahrhunderts waren Bildschnitzer und Maler aus Lübeck zu den süddeutschen Meistern gezogen, um dort weitere Kunst-Kniffe zu erlernen und sich den neuen Trends anzupassen. So lernten sie von den Großmeistern die realistische Bildgestaltung und brachten damit die Kunst der Porträtmalerei mit.
Insgesamt werden in der sehenswerten Ausstellung „Lübeck 1500“ im Museumsquartier St. Annen ab sofort bis zum 10. Januar 2016 rund 100 Skulpturen, Tafelgemälde, Goldschmiedearbeiten und Buchdrucke aus der Zeit von 1460 bis 1540 gezeigt. Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Begleitprogramm u.a. mit einem Workshop für Kinder und Rezitationsabenden, mit Führungen der Innenstadtkirchen, Gottesdiensten zum Thema (St. Aegidien), Konzerten (St. Jakobi, St. Marien) und einer Kunst- und Musiknacht (St. Marien). Weitere Informationen unter http://www.luebeck1500.de