Stell Dir vor, es ist Wahltag - und keiner geht hin. Eine Horror für jeden Demokraten. Die Kommunalwahl im Norden gab am Sonntag einen Vorgeschmack. Nur 46,7 Prozent machten von ihrem Recht Gebrauch, ihre Volksvertreter zu wählen - und das ist die bisher niedrigste Quote. Jetzt suchen Politiker, Kirche und Verbände nach den Gründen für die Wahlverdrossenheit. Ist es Kapitulation vor eingeschworenen Gruppen, die mancherorts eigene Interessen stärker vertreten als die Anliegen der Bürger? Fühlt sich der „kleine Mann“ durch die Ortspolitik nicht mehr verstanden und gebührend vertreten? Oder lag der Verzicht auf den Urnengang einfach am schlechten Wetter? - Viele Fragen nach der Wahl, über deren Ergebnis sich dennoch gleich mehrere Sieger freuen können: Rot-Grün bleibt am Ruder, aber die CDU ist stärkste Kraft in Schleswig-Holsteins Kreisen.
In Timmendorfer Strand weisen die Wahlergebnisse vor allem in eine Richtung: die Gemeindevertretung bekommt mehr „Frauen Power“. Gab es bisher mit Anja Evers nur eine einzige Frau in dem wichtigsten Gremium, werden es künftig acht Volksvertreterinnen sein. Insgesamt wird die Mitgliederzahl der Gemeindevertretung um ein Mitglied anwachsen, da sich sieben Direktkandidaten der CDU durchsetzen konnten und die Union einen zusätzlichen Sitz erhält. Damit sind es insgesamt 20 Mitglieder, die über viele Zukunftsfragen entscheiden. Dabei ist die CDU mit 34,3 Prozent (+ 1,5 %) die stärkste Partei; die SPD hat sich zwar um 6,6 Prozentpunkte auf 21,4 Prozent gesteigert, ist aber dennoch nicht ganz zufrieden: „Wir haben unser Ziel nicht erreicht“, meint SPD-Ortspolitiker Peter Ninnemann. Die Wählergemeinschaft WUB hat mit minus 0,5 Prozentpunkten ein wenig verloren, behält aber mit 23,8 Prozent fünf Sitze.
Trotz des deutlichen Trends zugunsten der Wählergemeinschaften büsste die WUB in Scharbeutz 11,5 Prozent der Wählerstimmen ein. Das mag daran gelegen haben, dass die WUB nach ihrem letzten sensationellen Wahlergebnis von fast 40 Prozent „gesplittet“ wurde und zwei der gewählten WUB-Mitglieder mit entsprechendem Mandat ihre eigene Partei gründeten und fortan vorwiegend mit der CDU stimmten, die in diesem Jahr nach einem aggressiven Wahlkampf und beachtlichem Einsatz mit 35,5 Prozent stärkste Kraft in der Gemeinde wurde. Der Zuwachs von 8,4 Prozentpunkten wird zugleich Verpflichtung sein: die Wähler erwarten, dass in ihrer Gemeinde sowohl zugunsten der Bürger als auch in Sinne des Tourismus entschieden und gewirtschaftet wird. Eine Aufgabe, die sich angesichts der zahlreichen „Baustellen“ als nicht ganz leicht erweisen dürfte. Die SPD hat mit zusätzlichen sechs Prozentpunkten und fünf Sitzen ein gewichtiges Wort mitzureden. Dabei sind zum ersten mal auch die Scharbeutzer Grünen: mit 4,1 Prozent kamen sie kurz nach ihrer Gründung auf Anhieb in die Gemeindevertretung und könnten dort mit einer Stimme das Zünglein an der Waage sein.
Warum sich trotz aller Spannung nur so wenige Bürger an den Wahl beteiligt haben, bleibt allen ein Rätsel. Die Piraten haben im Internet eine Umfrage gestartet, wollen die Gründe des Wahlverzichts ermitteln. Das Ergebnis steht noch aus. SPD-Landeschef Ralf Stegner macht die Medien mit verantwortlich für die Wahl-Unlust der Schleswig-Holsteiner. Viele Wähler würden abgeschreckt durch die negative Berichterstattung über Politiker, meint er. Das Vertrauen fehlt. Und damit ein wichtiges Kernstück der Demokratie. Nun sind unsere Volksvertreter gefragt, ihr Image zu verbessern - bis zur nächsten Wahl.