Die Zeiten der Mega-Projekte sind eigentlich vorbei, vor allem, wenn sie auf Kosten der Natur gehen. Aber während man sonst zunehmend auf Naturschutz achtet, geht man in Schleswig-Holstein unbeirrt einen anderen Weg. Und der führt durch einen Tunnel unter der Ostsee. Trotz zunehmender Bürgerproteste, und engagierter Aktionsbündnisse wird der etwa 18 Kilometer lange Absenktunnel zwischen Fehmarn und Dänemark gebaut. Ein Eilantrag kam dabei zu spät; der Bauträger hat bereits Fakten geschaffen: Die wertvollen Riffe in der Ostsee wurden zerstört.
Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) nimmt es gelassen. „Die Bauarbeiten an den Riff-Flächen haben im Oktober bereits begonnen“, sagt er, „deshalb sind im Bereich des Tunnelgrabens die Riffe durch Baggerarbeiten fast vollständig nicht mehr vorhanden.“ Dies sei, so meint er, auch rechtens gewesen.
Wissenschaftler und Naturschützer melden Zweifel an. Sie hatten schon mehrfach vor einer ökologischen Katastrophe gewarnt. Der Fehmarnbelt hat eine überaus wichtige Funktion für das gesamte marine Ökosystem, denn hier erfolgen 70 Prozent des Wasseraustausches zwischen Nord- und Ostsee. Das 280 Kilometer große Gebiet dient als Wanderroute für viele Tierarten und hat eine Trittsteinfunktion für unzählige planktische Larven und Arten des Meeresbodens. Von hier wandern Seenelken, Seesterne oder Borstenwürmer in die zentrale Ostsee. Und nach den immer wiederkehrenden Ereignissen des Massensterbens, die durch Sauerstoffmangel nach massiven Algenblüten ausgelöst wurden, kommen die Arten durch den Fehmarnbelt eingewandert. Hier liegt nicht nur das Schutzgebiet „Fehmarnbelt“ für den gefährdeten Schweinswal, sondern das gesamte Gebiet um die Insel Fehmarn ist Nahrungs- und Rastgebiet für Eiderenten und Eisenten und ein wichtiges Durchzugs- und Laichgebiet für Dorsch und Hering. In den Riffen und Sandbänken vor der Küste leben Muscheln, Schwämme und zarte Moostierchen. Ebenso wachsen dort Seegraswiesen und große Braunalgen: Wälder und wichtige Kinderstuben unter Wasser.
Diese Natur ist durch den Tunnelbau in großer Gefahr. 100 Meter breit, 30 Meter tief und rund 18 Kilometer lang soll der Absenktunnel werden. Über Jahre hinweg wird man Millionen von Kubikmetern Meeresgrund aufbaggern. Anschließend werden tonnenweise vorgefertigte Tunnelteile aus Beton abgesenkt. Die zu erwartende Trübung durch die Sedimentverdriftung und der Baulärm werden das Ökosystem weit über den Fehmarnbelt bis in die zentrale Ostsee hinaus belasten. Die Folgen werden über Jahre zu spüren sein und der NABU geht davon aus, dass einige Arten und Lebensräume sich niemals davon erholen werden. Erheblich betroffen sind auch die anliegenden Küstenorte. Durch die „Hinterlandanbindung“ des neuen Tunnels und den damit verbundenen Lärm zahlreicher Gütertransporte dürfte die gewohnte Ruhe bald vorbei sein.
Letztlich wird der gesamte Tourismus in der Lübecker Bucht erheblich unter dem ehrgeizigen Milliardenprojekt leiden. Das Meer kann sich bei den massiven Bohr- und Bauarbeiten in einen schlammigen Tümpel verwandeln, weit entfernt vom Urlaubstraum der Gäste, von denen die Ostseebäder leben. Da fragen sich viele: „Ist es das wert?“ - Bei näherer Betrachtung wird das Projekt zunehmend fraglich. Die feste Fehmarnbeltquerung basiert auf mittlerweile 15 Jahre alten Verkehrsprognosen. Wesentliche Rahmenbedingungen haben sich verändert. Mehr Menschen fliegen, immer weniger fahren privat mit dem Auto. Und für die prognostizierten 12.000 Fahrzeuge täglich würde man in Deutschland keine Ortsumgehung bauen. Zum Vergleich: Durch den Hamburger Elbtunnel fahren zehn Mal so viele Autos. Dass auch die Bahnprognosen halbiert wurden, scheint politische Entscheider, die von einer „Magistrale Nordeuropas“ sprechen, kaum zu irritieren.
Und wieder stellt sich die Frage: Wem nützt das Ganze? „Der Wirtschaft“, meinen die Befürworter. „Die große Baustelle bei Rødbyhavn schafft viele tausend neue Arbeitsplätze auf dem Bauareal, und darüber hinaus bei Zulieferern und Dienstleistern rund um die Baustelle. Die Bautätigkeiten auf der dänischen wie auf der deutschen Seite bieten nicht zuletzt für Unternehmen aus Norddeutschland große Chancen“, erklären die Bauherren der dänischen Femern A/S, ein 100%iges Staatsunternehmen. Dänemark baut den Tunnel, der einer Beschleunigung der Im- und Exporte bewirken soll, auf eigene Kosten von geschätzt 7,1–7,4 Milliarden Euro. Deutschland kommt für die Kosten der Straßen- und Eisenbahnanbindung auf deutscher Seite in Höhe von 3,5 Milliarden Euro auf. Der Bau des Fehmarnbelttunnels sollte zunächst im Jahr 2015 beginnen, die Inbetriebnahme war für 2021 vorgesehen. Aufgrund der Dauer des Genehmigungsverfahrens auf deutscher Seite, insbesondere des 7 Jahre dauernden Planfeststellungsverfahrens, wird mit einer Inbetriebnahme erst im Jahre 2029 gerechnet.
Ob die zerstörten Riffe dann auch wie gerichtlich vorgegeben irgendwann und irgendwo durch neue Riff-Konstruktionen ersetzt werden, wird sich zeigen. NABU, Aktionsbündnis und Beltretter setzen sich erneut auch juristisch dafür ein.