Den Schnabel trägt er ganz hoch, an der Kralle blitzen „Brillis“, und er nähert sich auf langen Stelzen einem Schmuckexemplar, das ein bisschen hoch hängt. „Der Griff nach der Perle“ oder „der Trend zur Zweitkralle“ lautet der lästerhafte Bildtitel, der so gut in die Gegend passt. So begrüßt der trendige Vogel auch riesengroß auf Leinwand alle Besucher der Scharbeutzer Strandkirche, die aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Unter dem Motto „die eine und die andere Seite“ treffen hier zwei Welten aufeinander, eine nachdenklich-abstrakte und eine fröhlich naive, die auch Kindern gefällt. Bis zum 15. Januar zeigt Ingrid Friedrichsen aus Timmendorfer Strand hier ihre bemerkenswerten neuen Werke, montags bis freitags von 9.00 bis 12.00 Uhr und nach Absprache.
„Eigentlich habe ich diese Vögel für meine Enkelkinder entworfen“, erzählt Ingrid Friedrichsen, aber dann hat es sie einfach nicht mehr losgelassen. Und so entstanden die ebenso witzigen wie charakterstarken Vogel-Typen, die - mit Krönchen geschmückt - nach der Handtasche suchen, jonglieren oder in schicken Kleidern posieren. „Fashion Week“ heißt eine Serie, in der die Krähen professionell „gehen“, also auf hohen Füßen durchs Bild staksen. Überall grüßen die skurrilen Vögel von den Wänden, und einige präsentieren sich sogar zum Anfassen: aus Ton geformte Skulpturen wirken, geschickt bemalt, so plastisch, dass man fast annimmt, das flatternde Kleid hätte sich bewegt.
Bewegung ist in allen Kunst-Stücken der „Vogelperspektive“; weitaus ruhiger präsentieren sich die abstrakten Werke von Ingrid Friedrichsen. Melancholische Strand-Landschaften mit Nebelhüllen erinnern an die Szenerie draußen vor der Tür; angeschwemmtes Treibgut weckt die Fantasie: „Ist es ein Fisch? Ein Stück Holz?“- Himmel und Erde, Küste und Meer und die einzelnen Objekte liefern viel Raum für Spekulationen. So wird das Strandgut zur Felsenküste, zum Steilufer… die Proportionen liegen ganz im Auge des Betrachters. Ganz groß präsentieren sich die Kompositionen aus Meer und Wolken- „das größte Gemälde misst 1,30 mal 1,50 Meter.“
Mit ihrer Ausstellung „Die eine und die andere Seite“ begrüßt Ingrid Friedrichsen viele Kunstfreunde, nimmt aber zugleich Abschied von einem Ehrenamt, das ihr viel Freude bereitet hat. Sechs Jahre lang war die 66-jährige für die Auswahl der Künstler zuständig, die ihre Werke in der Scharbeutzer Strandkirche ausstellten. „Damals hatte ich meiner Freundin Anke Vollstedt versprochen, das Amt nach ihrem Tod zu übernehmen“, erinnert sie sich an die Anfänge. So schnell wird sie ihre Aufgabe allerdings nicht loslassen; „da Frau Pastorin Vera Lindemann die Kirchengemeinde Scharbeutz inzwischen verlassen hat, werde ich noch das kommende Jahresprogramm erstellen.“ - Die Kunstfreunde sind schon gespannt. Aber noch haben sie Gelegenheit, sich für die neuen Werke aus Ingrid Friedrichsens Atelier zu begeistern - bis zum 15. Januar, zu den oben genannten Öffnungszeiten (mo-fr 9-12 Uhr) oder, für Gruppen und Interessenten, nach Absprache unter Tel.: 04503-31107.