StrandBlick September 2023
20 StrandBlick September | 2023 Timmendorfer Strand Viele Jahre, viele Freunde: Praxis-Ende bei Doc Wille Er war einer der beliebtesten Hausärzte in und um Timmendorfer Strand; die Zahl der Stamm-Patienten ist beachtlich. Für sie werden die Zeiten härter, denn ihr „Doc“ Jürgen Wille zieht sich nach rund vierzig Praxis-Jahren ins Privatleben zu- rück. Aber auch dort, in seinem ländlichen Domizil, will der erfahrene Mediziner und Psychotherapeut erreichbar bleiben. Zehn Uhr morgens, das Wartezimmer ist gut besetzt. Männer und Frauen mit Lebenserfah- rung warten auf „ihren“ Arzt. Die meisten sind Stamm-Patienten und freuen sich auf das Ge- spräch. „Geht gleich los“, ruft Arzthelferin Su- sanne „Suse“ Wieseler. „Zweite Tür links, Andy.“ - „Jo, geht klar“. Man kennt sich, man duzt sich, alles ist locker und familiär. Fast vierzig Jahre lang hat Dr, Jürgen Wille vielen Timmendorfern und etli- chen Urlaubsgästen aus mancher gesund- heitlichen oder psychischen Krise geholfen. Als engagierter Allgemein-Mediziner und ein- fühlsamer Psychologe gelingt es ihm, Ver- trauen zu gewinnen und auch auf schwierige Charaktere einzugehen. Das war sicher nicht immer ganz einfach. Hinzu kam die Herausforderung, dass sich die Situation der ansässigen Ärzte an der Küste seit dem Start erheblich verändert hat. „Als ich die Praxis in der Timmendorfer Strandallee 1986 übernommen habe, konzentrierte man sich noch auf die Kurgäste, die kamen, um sich zu erholen, um Körper und Seele mit ent- sprechenden Angeboten aufzubauen. Dazu trugen die so genannten Badeärzte bei.“ Das änderte sich in den 1990er Jahren: Das Ostseebad warb um „anspruchsvolle Genie- ßer“, die dann auch in Scharen kamen und andere Ansprüche stellten als die traditionelle Regeneration. Der nächste Umschwung kam durch die Di- gitalisierung und die Zentral-Erfassung me- dizinischer Daten. „Früher hatten wir ein Labor direkt in Timmendorfer Strand; dann gab es nur ein Zentrallabor, Außerdem kam eine bü- rokratische Fülle neuer Regularien auf uns zu.“ Das hat Jürgen Wille nicht daran gehindert, sich in Timmendorfer Strand auch privat zu engagieren „Ich war 15 Jahre lang Mann- schaftsarzt für unsere Eishockey-Mannschaft“, erzählt er, „und ich hab’ Anfang der 2000er den Diätclub für übergewichtige Männer ge- gründet, mit dem Motto 10 x 10 - also: zehn Teilnehmer nehmen in zehn Wochen 10 Kilo ab. Das war spannend und in Timmendorf eine ganze Zeit lang ein Thema“. In der Praxis nahmen die Herausforderungen weiterhin zu. Arzthelferin Susanne Wieseler zeigte sich zum Glück geradezu genial im „Multitasking“, begrüßte jede und jeden mit freundlichem Lächeln, auch wenn das Telefon gerade klingelte und ein oder zwei Patienten auf ihr Rezept warteten. Wartezeit hatten man eingeplant: die zahlreichen „Stamm-Patien- ten“ wussten es zu schätzen, dass sich der „Doc“ ausreichend Zeit für jedes Gespräch, jede Diagnose und jede Behandlung nimmt. Dabei war seine Erfahrung als aktiver Psycho- logie sowohl für Dr. Wille als auch für die Pa- tienten häufig eine wichtige Basis. „In den vierzig Jahren in der Strandallee hab’ ich mehr als 100.000 Patienten betreut“, er- zählt er. „Und mit mehr als 50 Prozent aller Patientinnen und Patienten sind wir per Du“, lacht Susanne Wieseler. Sie hat 22 Jahre lang dafür gesorgt, dass alles perfekt läuft, von der Terminvergabe über Re- zept-Erstellung bis zur Abrechnung. Eine Menge Arbeit, aber „es war auch eine tolle Zeit. Ich hab’ so viele Menschen kennen- gelernt, und wir haben uns oft königlich amü- siert. Es gab ja auch ein paar unvergessliche Highlights, wie zum Beispiel die Gründung des Zigarren-Clubs“ - In diesem gut gepfleg- ten Männerclub ist Jürgen Wille nach wie vor begeistertes Mitglied, und auch auf seine ker- nigen Motorbike-Touren entlang der Küste wird er sicher nicht verzichten. Wenn man den heute notwendigen Einsatz in der Arzt-Praxis betrachtet, wäre es wohl Zeit für den Ruhestand. Aber so ganz möchte er sich nicht von seiner Arbeit verabschieden. In Zukunft will Dr. Jürgen Wille in seinem Do- mizil in Tolk an der Schlei für seine Patienten erreichbar sein. „Hier werde ich eine ganz- heitliche Behandlung mit psychologischem Schwerpunkt anbieten, in einer angenehm ländlichen Umgebung und mit viel Zeit für je- den, der zur mir kommt.“ In Timmendorfer Strand wird man ihn sicher vermissen. Für die verbliebenen Hausärzte ist die Situation in den vergangenen Jahren nicht leichter geworden. Fehlende Mitarbeiter und zunehmende bürokratische Hindernisse sind ein Teil des Problems. Ein weiteres ist der feh- lende Nachwuchs. Heute gibt es in Ostholstein noch 148 Kassen- ärzte, davon 13 in Neustadt, 11 in Timmendor- fer Strand und 4 in Scharbeutz. Das erscheint ausreichend, sofern man nicht bedenkt, dass rund ein Drittel der praktizierenden Hausärzte bereits das 60. Lebensjahr überschritten hat und wohl in naher Zukunft in den Ruhestand gehen wird. Die Kassenärztliche Vereinigung von SH hat eine „Nachwuchskampagne“auf den Weg ge- bracht, die für junge Ärztinnen und Ärzte in- teressant sein dürfte. Infos finden sie unter: www.mehrarztleben.de Immer stark im Einsatz: Arzthelferin Susanne Wieseler hat alles perfekt gemanagt Lieblingstour mit dem Motorbike: Am Strand entlang, Freunde treffen - hier den Zigarrenclub-Kumpel Bert Flaig Dr. Jürgen Wille privat mit Sohn Christian, Tochter Ann-Kathrin und Hund Graf Koks
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